Die Coronavirus-Pandemie stellt Führungskräfte von Unternehmen und Organisationen in allen Bereichen weltweit auf die Probe. Die weltweite humanitäre Krise, die COVID-19 ausgelöst hat, ruft bei den meisten Managern, Mitarbeitern, aber auch allen anderen, die mit dem Unternehmen verbunden sind, zunächst einmal Angst aus.
Was hat jetzt Nokia damit zu tun? Erst einmal nichts (wie im übrigen auch nicht 5G), aber in meiner Leadership Vorlesung zum Thema Krisenmanagement reden wir über den Fall Nokia: 2007 stellte Nokia fest, dass einige Akkus für die Mobiltelefone defekt waren. Auf einer Internetseite konnte man die Seriennummer des Akkus eingeben, feststellen, ob der eigene betroffen war, und ihn austauschen lassen. In Indien funktionierte es jedoch nicht so einfach, da damals viele Menschen überhaupt kein Internetzugang hatten – mit weitreichenden Konsequenzen für den Marktführer. Das Management musste die entstehende Krise dort komplett anders angehen.
Beide Krisen, Corona und der defekte Handy-Akku, so unterschiedlich sie sind, haben Parallelen: sie stellen eine Bedrohung für die Organisation dar, sie haben ein Überraschungselement, es bleibt nicht viel Zeit zum Reagieren und Veränderungen sind zwingend notwendig.
“Nothing tests a leader like a crisis” ist ein Satz, den man oft beim Krisenmanagement hört. Und deswegen schauen wir uns in der Vorlesung auch an, was die vier Führungspraktiken sind, die ein Leader in der Krise beherrschen sollte.
1. Teamarbeit
Während ein Produktrückruf, wie bei dem Handy-Akku, in einem guten Risikomanagement berücksichtigt und entsprechende Vorgehensweisen geplant sein sollten, hatten wohl die wenigsten Unternehmen eine weltweite Pandemie auf dem Plan.
Gerade in der Corona-Krise, die von einer derartigen Unsicherheit geprägt ist, stehen die Führungskräfte vor nie dagewesenen Herausforderungen. Sie stehen vor Problemen, die sie in der Form noch nicht erlebt haben und nur unzureichend einschätzen können. Instinktiv besteht jetzt bei den Mitarbeitern der Wunsch nach einer starken Führungspersönlichkeit, die das Chaos in den Griff bekommt und sicher den Weg aus der Krise weist. Diese Person kann es aber gar nicht geben. Auch eine kleine Gruppe von Führungskräften auf der höchsten Ebene eines Unternehmens kann gar nicht schnell genug Informationen sammeln und Entscheidungen treffen, um effektiv zu reagieren.
Wie auch das Führungsmodell von Vroom/Yetton beschreibt, brauchen Führungskräfte in diesen Zeiten ihre Teammitglieder, um möglichst viele Informationen zu sammeln und gemeinsam die bestmögliche Lösung zu finden. Führungskräfte müssen klare Prioritäten setzen und ihre Mitarbeiter unterstützen, diese Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Nur die Zusammenarbeit mit Experten auf allen Hierarchieebenen stellt sicher, dass das Unternehmen so gut wie möglich auf die Situation reagieren kann. Ein weiterer wichtiger Aspekt – neben der erforderlichen Transparenz und Offenheit – ist auch die sogenannte „psychologische Sicherheit“: Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, ohne Angst vor Auswirkungen alle Ideen, Fragen und Zweifel offen diskutieren zu können.
2. Kommunikation
Kommunikation wird in der Krise mehr denn je zur zentralen Führungsaufgabe. Transparenz zu schaffen ist dabei eine der wichtigsten Aufgaben für Führungskräfte. Sie müssen kommunizieren, was Sie wissen – aber auch, was sie nicht wissen und was sie tun wollen, um mehr zu erfahren. Und wie sie ihre Reaktionen anpassen, wenn sie mehr erfahren haben. Diese Kommunikation geht in alle Richtungen – im Unternehmen, aber auch mit allen relevanten Stakeholdern.
Neben allen inhaltlichen Fragestellungen: Führungskräfte müssen auch besonders darauf achten, dass sie die Sorgen und Ängste ihrer Mitarbeiter berücksichtigen. In einer Krise wie jetzt fokussieren sich Menschen automatisch auf das eigene Überleben und das der Familie. Führungskräfte müssen entsprechend der Maslowschen Bedürfnispyramide unten anfangen, die Grundbedürfnisse ihrer Mitarbeiter adressieren und Sicherheit vermitteln. Es fällt jedem schwer, sich darauf zu konzentrieren, wie die geeignete Strategie des Unternehmens aussehen sollte, wenn sie kurzfristig eine Kinderbetreuung organisieren müssen, sich überlegen, wie die alten Eltern versorgt werden können oder sie ganz banal unterwegs sind, um Handdesinfektionsmittel und Toilettenpapier zu kaufen. Das Unternehmen kommt an zweiter Stelle, wenn Fragen sie umtreiben wie: Werde ich auch erkranken? Wird meine Familie es schaffen? Wie geht es weiter? Wer wird für uns sorgen?
Sobald die grundlegenden Bedürfnisse zumindest annähernd erfüllt sind, kann sich der thematische Schwerpunkt wieder auf die Ausrichtung des Unternehmens, das gemeinsame Ziel und mögliche Handlungsoptionen verlagern. Führungskräfte müssen neben allen fachlichen und inhaltlichen Themen auch genau auf diese grundlegenden Themen eingehen, um einen „positiven Unterschied“ im Leben der Menschen zu machen.
3. Balance
„Plan for the worst, hope for the best“, rechne mit dem Schlimmsten und hoffe auf das Beste, beschreibt die notwendige Balance, die Führungskräfte schaffen müssen, recht gut. In der Krise muss die Führungskraft den richtigen Ton treffen. Die Führungskraft muss in der Lage sein, ihr Team gleichermaßen auf den Ernst der Lage einzustimmen, wie sie zu motivieren, die Krise anzugehen und zu überwinden und dabei Zuversicht vermitteln. Sie muss Abstand zu der angespannten Situation finden um darüber nachdenken zu können, welche Optionen es gibt und wie sie weiter vorgehen sollen.
Eine weitere wichtige Eigenschaft ist ein „realistischer Optimismus“. Die eigene Unsicherheit durch einen übertrieben selbstbewussten, optimistischen Ton zu verstecken macht Mitarbeitern und Stakeholder eher misstrauisch. Sie fragen sich dann, ob die Führungskraft wirklich die Situation verstanden hat und wie gut sie mit der Krise umgehen kann. Stattdessen sollte sie Vertrauen vermitteln, dass die Organisation einen Weg durch ihre schwierige Situation finden kann, und zeigen, dass sie die Unsicherheit der Krise erkennen und Lösungen suchen.
4. Lernen
Viele Führungskräfte wollen erst ein Problem richtig verstanden haben und alle Fakten kennen, bevor sie sich entscheiden – erst recht in Zeiten großer Unsicherheit. Da eine Krise aber viele Unbekannte und Überraschungen mit sich bringt, werden die Fakten für die „perfekte“ Entscheidung vermutlich nicht rechtzeitig vorhanden sein.
Wissen, was zu tun ist, wenn man nicht weiß, was zu tun ist – in einer Krise wird das Lernen beschleunigt. Inmitten der Ungewissheit müssen sich die Führungskräfte auf die Erfahrungen der Vergangenheit konzentrieren und überlegen, wie weit sie auf die Zukunft übertragbar sind, ohne einem „haben wir immer schon so gemacht“ anheimzufallen. Ist es wie beim Börsenkrach von 1987? Oder der Finanzkrise 2008? Die Ausbrüche von SARS oder MERS? Indem sie das „Unbekannte“ der aktuellen Krise mit dem „Bekannten“ früherer Krisen vergleichen, gewinnen die Führungskräfte eine Perspektive, erkennen Muster und können angemessene und rechtzeitige Reaktionen finden. Es geht darum, kontinuierlich Informationen zu sammeln, die vorhandenen Informationen im Team auszutauschen und zu bewerten und die – gegenwärtig – beste Lösung zu finden. Sobald neue Informationen kommen, muss die Vorgehensweise entsprechend angepasst werden. Und immer wieder sollten bisherige Annahmen in Frage gestellt, laufende und potenzielle Maßnahmen hinterfragt werden, um zu entscheiden, ob sie geändert, übernommen oder verworfen werden sollten.
Wenn sich die Führungskraft einmal entschieden hat, was zu tun ist, muss sie entschlossen handeln. Sichtbare Entschlossenheit stärkt das Vertrauen der Organisation in die Führungskraft. Sie motiviert die Mitarbeiter, weiter nach Lösungen für die Herausforderungen, vor denen die Organisation steht, zu suchen.
Wie es weitergeht weiß in einer Krise keiner. Die mögliche Erholung mag ein V oder ein U oder ein anderer Buchstabe des Alphabets sein. Aber es wird eine neue Normalität geben – letztendlich Dank der Führungskräfte, die eine derartige Krise gemeistert haben.
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Mit Managementcoachings, Trainings und Vorträgen unterstütze ich Organisationen im Bereich Projektmanagement und Personalentwicklung. Dabei befasse ich mich vor allem mit Führungsthemen, sowie der Zusammenarbeit verschiedener Generationen und Kulturen. Mein Buch zum Thema „Projektmanagement im Gesundheitswesen“ ist im Springer Gabler Verlag erschienen.
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